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Gen Z und Glaube

Es ist das Jahr 2004. Ich bin 15 Jahre alt und sitze in einem abgedunkelten Gemeindesaal im mittelhessischen Nachbardorf. Auf einer großen Leinwand läuft ein verpixelter Videostream live aus dem Tränenpalast in Berlin: Jesus House. Torsten Hebel (Gründer der blu:boks Berlin) verkündigt und Judy Bailey singt. Das christliche Großevent zieht Teens aus den umliegenden Gemeinden an – überschreitet sogar die Grenzen zum Nachbardorf. Gesprochen wird viel davon, wie Jesus für unsere Sünden gestorben ist. Der Bruch zwischen Mensch und Gott. Jeder von uns ist sündig. Doch durch Jesu Kreuzigung wird uns vergeben. Auf die Vergebung folgt das ewige Leben.

Knapp zwanzig Jahre später hat sich das Format weiterentwickelt. Jesus House findet 2023 unter dem Namen "True Story" statt. Die Zielgruppe sind noch immer Jugendliche zwischen vierzehn und achtzehn Jahren. Mittlerweile ist nicht nur die Qualität des Videostreams eine andere. Auch der Fokus der Evangeliumsverkündigung hat sich verschoben. Denn der Bedarf der Gen Z (1) ist ein anderer als der, den meine Generation der Millenials, oder die Generation meiner Eltern, die sogenannten "Baby Boomer" hatten.

Die Gen Z gilt als so offen für alle Strömungen wie keine Generation zuvor. Und das machen ihnen viele Ältere zum Vorwurf. Timo Krämer (Referent bei alpha Deutschland für Young Generation) sagt dazu: „Es gibt in der Gen Z einen Mindsetwechsel von „Ich mache Fehler“ hin zu „Ich bin ein Fehler“ (von der Schuldkultur zur Schamkultur)”. Daraus resultiere, dass Jugendliche dieser Generation etwas anderes von Jesus brauchen als bisherige Generationen.

Während meiner Generation gepredigt wurde: „Deine Schuld ist dir vergeben. Jesus ist dein Erlöser“, will die Gen Z vollkommen angenommen sein in ihrer Scham. Die Aussage der Verkündigung müsste demnach heißen: „Jesus ist dein Annehmer“.

Ein Einstellungswechsel findet auch in der Worship Szene statt. Ein Beispiel dazu:
Cory Asbury veröffentlichte 2020 das Lobpreislied „The Father’s House“.
Darin zu finden sind Zeilen wie Ooh, here in the Father's house / Check your shame at the door / 'Cause it ain't welcome anymore / Ooh, you're in the Father's house“ – Übersetzt: “Hier im Haus des Vaters lege deine Scham an der Tür ab, denn sie ist nicht mehr willkommen. Du bist im Haus des Vaters.“ – Fokus Scham.

Wir erinnern uns - 2004 sang Judy Bailey „Jesus in my house“: "I'm forever grateful that you sacrificed your son" (Übersetzt: Ich bin für immer dankbar, dass du deinen Sohn gabst) und weiter:
„Thank you for forgiveness and the chance to start again” (Danke für die Vergebung und die Chance, neu zu beginnen) – Fokus Schuld.

Spannenderweise findet hier auch ein Platzwechsel von Gastgeber und Besucher statt.
Eine Frage, die ich mir stelle: Bin ich es wert, dass Gott bei mir zu Gast ist? Oder ist es Gott, der mir die Tür öffnet? Der schon da ist und mich reinlässt? Und auch hier entdeckt man einen Haltungswechsel: Während Jugendarbeit in der Vergangenheit oft so gestaltet wurde, dass Mitarbeitende denken, sie müssen den Jugendlichen Gott „mitbringen”, so hat die FreshX-Bewegung längst verinnerlicht: Gott ist schon da. Er darf an jedem Ort entdeckt und aufgedeckt werden.

Rein biblisch betrachtet nimmt Jesus beide Rollen ein: Mal ist er selbst bei den Menschen zu Gast und mal ist er der Gastgeber. Jesus der zum Sünder Zachäus nach Hause kommt. Jesus der 5000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen satt macht.

In den Platzwechsel spielt auch etwas anderes hinein: Wenn ich jemanden besuche, kann ich auch entscheiden, wann ich das Haus wieder verlasse – ich muss mich nicht fest binden – auch das ist ein Vorkommnis, das sich schon lange beobachten lässt.
Jugendliche und junge Erwachsene binden sich häufig nicht mehr jahrelang an den gleichen Verein oder die gleiche Gemeinde. Tobias Faix (Professor für praktische Theologie an der CVJM-Hochschule) sagte in seinem Vortrag „Transformation verstehen” beim diesjährigen CVJM-Basecamp dazu: „Mitgliedschaft hat keine identitätsstiftende Bedeutung mehr.” Doch nur weil sie keinen Mitgliedsantrag unterschreiben, bedeutet das nicht, dass Jugendliche kein Interesse an Glauben haben. Das Gegenteil ist der Fall. Sie haben Unsicherheiten, Glaubens- und Sinnfragen und haben noch dazu eine große Offenheit für spirituelle Inhalte.

In einem Interview (2) mit Katharina Haubold (Projektreferentin FreshX, Beymeister Köln) und Tobi Schöll (Gesamtleiter Christustreff Berlin) benennt Tobi Schöll vier Aspekte, warum das Evangelium Antworten für die Gen Z bereithält:

  1. Frage der Berufung: Auf die Frage "wo ist mein Platz?" antworten zu können: Es gibt jemanden, der hat eine Idee für dein Leben und mit ihm kannst du seine Idee für dein Leben entdecken.
  2. Menschsein-Sünde-Gnade: Jugendlichen zusprechen, dass sie wunderbar gemacht sind und gleichzeitig (noch) nicht fertig sind und sich von Gott formen lassen dürfen. Du muss nicht so perfekt sein, wie es dir Social Media suggeriert. Hier greift Gnade.
  3. Identität: "Wer bin ich?" und "wer spricht mir das zu?" Das Evangelium sagt: Du bist geliebtes Kind Gottes.
  4. Gerechtigkeit: Du kannst etwas in dieser Welt bewegen und gleichzeitig ist in der Bibel zu lesen, dass es Gott sein wird, der am Ende alles gut macht.

Das sind wichtige, sinnstiftende Antworten für Jugendliche. Doch bevor man in diese Tiefe einsteigen kann, muss die Beziehung stimmen. Timo Krämer bringt es auf den Punkt „Kirche muss Freund werden.“ Es gibt unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine große Sehnsucht nach tiefen Beziehungen, nach echter Nähe, nach authentischen Vorbildern, die richtungsweisend sind. Richtungsweisend sei an der Stelle hervorgehoben – denn es geht um eine Orientierung und nicht um eine Einengung.

Tobias Faix erzählte im oben genannten Vortrag, dass der spirituelle Markt aktuell boome. Die Menschen drängten von allen Seiten (gläubig / nicht gläubig / kirchenangehörig oder nicht) in eine neue spirituelle Mitte. Das könne man als Chance betrachten oder es mache Angst. Angst führe zu einer Verengung, einer Radikalisierung der Inhalte – es dürfe dann keine zwei konträren Meinungen nebeneinander geben. Die Gen Z bringt eine Offenheit mit, die Verschiedenheiten dürfen nebeneinander bestehen. Tobias Faix rät dazu, amqiguitätstolerant zu sein. An eigenen Grundsätzen und Werten festzuhalten und gleichzeitig zu akzeptieren, dass andere anders denken, fühlen, glauben.

Als WERTESTARTER fördern wir Projekte, in denen Kinder und Jugendliche, die Gen Z und die nächste Generation Alpha (Geburtsjahre ab 2010), erreicht werden. Unser Anliegen ist es, Mitarbeitende so zu unterstützen, dass diese in ihren Projekten echte Beziehungen mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufbauen können, ihnen Ansprechpartner und authentische Vorbilder sind und ihnen einen Erfahrungsraum christlicher Werte bieten.

Unsere Tochter gehört der Generation Alpha an. Vielleicht wird es für sie eines Tages auch ein Format wie True Story geben und vielleicht wieder mit neuem Fokus und sicherlich hochauflösend. Entscheidend ist jedoch etwas anderes: Ich wünsche ihr, dass sie authentische Vorbilder hat, mit denen sie ihre Lebens- und Glaubensfragen besprechen kann. Ich wünsche ihr, dass sie ihre Werte kennt und wertschätzend mit ihrem Gegenüber umgeht. Ich wünsche ihr, dass sie erfährt, dass sie geliebt und getragen ist. Eigentlich wünsche ich das jedem Kind.

Lea Horch, Projektmanager und Referentin der Geschäftsführung

[1]Gen Z ist die Abkürzung für Generation Z und bezeichnet Jugendliche und junge Erwachsene mit den Geburtsjahren 1995-2010
[2] Das gesamte Interview zum Nachlesen: https://www.mrjugendarbeit.com...