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Sina Müller, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der CVJM- Hochschule, Sozialarbeiterin, Religionspädagogin und Bildungswissenschaftlerin, Forscht zur Rolle von digitalen Medien in der christlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Zwischen Unsicherheit und Aufbruch: Digitale Kompetenzen entwickeln

Digitale Medien sind längst kein Randthema mehr, sondern ein relevanter Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen: wie sie kommunizieren, ihre Freizeit gestalten, nach Informationen suchen und Beziehungen führen, findet auch und immer mehr in digitalisierten Umgebungen statt. Das wirkt sich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus. Wer pädagogisch mit jungen Menschen arbeitet, kann diese Realität nicht ausblenden – und wer sich am Bildungs- und Erziehungsauftrag des SGB VIII sowie der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung ausrichtet, muss digitale Lebenswelten mitdenken. 

Für Fachkräfte entsteht dadurch ein doppelter Druck: Einerseits verschiebt sich das professionelle Handeln. Digitale Kommunikation, neue Beteiligungsformen, Social Media, Multioptionalität und neue ethische Fragen erweitern das Aufgabenprofil. Zugleich berichten Fachkräfte von Arbeitsverdichtung, unscharfen Grenzen zwischen Beruf und Privatleben, erweitertem Dokumentationsaufwand oder Herausforderungen im Bereich Datenschutz. Digitalisierung kann entlasten – aber sie schafft auch Komplexität. Und sie berührt das pädagogische Selbstverständnis direkt: In vielen Bereichen wissen Kinder und Jugendliche mehr über Tools, Trends und digitale Räume als die Erwachsenen. Das kehrt tradierte Rollen um und führt, wie Röll beschreibt, zu einem Kontrollverlusterleben, aber auch zu einer veränderten professionellen Rolle: Fachkräfte werden zu „Navigator*innen des Lernprozesses“ (Röll, 2022, S. 869), die Lernumgebungen gestalten, Auseinandersetzungen anregen und Prozesse moderieren, statt primär Expertise in Bezug auf digitale Medien zu vermitteln. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung sichtbar gemacht, aber sie ist nicht ihr Ursprung. Viele Fachkräfte berichten seit Jahren, dass die Digitalisierung ihre Arbeit verändert.

Es lässt sich kaum übersehen, dass digitale Kompetenzen im pädagogischen Alltag an Bedeutung gewinnen. Dabei lohnt sich ein Blick auf unterschiedliche Begriffe: Medienkompetenz – in der Tradition Baackes – umfasst konkrete Kompetenzen wie Medienkritik, -kunde, -nutzung und -gestaltung. Medienbildung geht weiter: Sie fordert eine reflektierte, lebenslange Auseinandersetzung und die Bereitschaft, „alte Gewohnheiten und Weltsichten zu verwerfen“ (Siller et al., 2020, S. 322). Medienpädagogische Kompetenz wiederum verbindet dieses Wissen mit der Fähigkeit, digitale Technologien sinnvoll in pädagogische Prozesse einzubetten. Oder einfacher gesagt: Fachkräfte müssen verstehen, was digitale Medien tun – und warum sie es tun –, um Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen, selbstbestimmt zu handeln. Diese drei unterschiedlichen, aber aufeinander aufbauenden Kompetenzen werden für die Arbeit mit jungen Menschen immer relevanter. Doch gerade hier zeigt sich eine strukturelle Lücke. Viele Fachkräfte lernen eher „im laufenden Betrieb“, im Selbststudium oder über informellen Austausch mit Kolleg*innen. Digitale Themen tauchen in Ausbildung und Studium von pädagogischen Fachkräften bisher nur punktuell auf. Gerade weil innerhalb von vielen Einrichtungen digitale Angebote oft an einzelnen engagierten Mitarbeitenden hängen, reichen die autodidaktischen Lernbemühungen nicht aus, um einen komplexen beruflichen Anspruch dauerhaft abzusichern. Parallel dazu bleibt die Fortbildungslandschaft unübersichtlich. Es gibt gute Angebote, aber keine klare Orientierung oder einheitliche Standards. Das verstärkt das Gefühl, dass Digitalisierung „on top“ kommt, statt Teil professioneller Identität zu sein. Deshalb fordern zahlreiche Expert*innen eine verbindliche medienpädagogische sowie kontinuierliche Fort- und Weiterbildungen im Berufsfeld – systematisch, nicht zufällig.

Interessant ist hier, dass einige Studien den Befund teilen, dass die Haltung der Fachkräfte oft wirkungsmächtiger ist als einzelne Kompetenzen. Busche-Baumann und von Borstel schreiben: „Die wichtigsten Kompetenzen in Bezug auf die Digitalisierung sind […] vor allem eine offene Haltung gegenüber digitalen Innovationen, das Wissen um die Lebenswelt der Adressat*innen, lebenslanges Lernen und eine hohe Flexibilität“ (2021, S. 87). Das deckt sich mit Beobachtungen aus der Praxis: Wer offen, kritisch und neugierig bleibt, findet Zugänge – selbst ohne perfektes Technik-Wissen. Wer hingegen versucht, den digitalen Wandel von der Seitenlinie zu kommentieren, verliert schnell den Anschluss. Brock et al. sprechen deshalb von der Notwendigkeit einer persönlichen Handlungsstrategie in Bezug auf Medien (2024, S. 162f.).

Haltung ist also kein „nice to have“, sondern ein professionelles Fundament. Eine offene Haltung bedeutet nicht, alles gut zu finden – sondern bewusst entscheiden zu können, was pädagogisch sinnvoll ist. Eine Haltung entscheidet darüber, ob digitale Medien nur als Problem wahrgenommen werden oder auch als Chance für Beteiligung, Kreativität, Partizipation und Chancengerechtigkeit. Sie prägt, wie Fachkräfte Nähe und Distanz im digitalen Raum neu austarieren, und sie bestimmt, ob junge Menschen lernen, selbstbewusst und kritisch mit ihrer digitalen Umwelt umzugehen.

Was kann das konkret für den Arbeitsalltag bedeuten? 

1. Eigene Haltung klären – bewusst und kontinuierlich

Welche digitalen Räume lösen in mir eine Unsicherheit aus? Wo reagiere ich mit Ablehnung, wo mit Neugier? Welche Werte leiten mein pädagogisches Handeln im digitalen Umfeld? Eine reflektierte Haltung ist die Grundlage dafür, junge Menschen nicht nur zu begleiten, sondern ihnen Orientierung zu geben.

2. Digitale Lebenswelten beobachten – und ernst nehmen

Nicht jede Fachkraft muss TikTok lieben, aber sie muss verstehen, warum es Jugendliche fasziniert. Praktisch bedeutet das: Bei Kindern und Jugendlichen nachfragen, eigene Deutungsmuster hinterfragen, und die Perspektiven der jungen Menschen einbeziehen. Verständnis ersetzt Kontrolle – und stärkt Beziehung.

3. Lernwege schaffen – für sich selbst und für das Team

Fachkräfte brauchen Räume, um sich auszuprobieren, Fragen zu stellen und Unsicherheiten abzubauen. Das kann eine interne Austauschzeit sein, eine kleine Projektgruppe oder die bewusste Entscheidung, ein digitales Angebot gemeinsam auszutesten. Niedrigschwellige Impulse liefert etwa das Online-Magazin www.digital-glauben.de der CVJM-Hochschule, das aktuelle medienpädagogische Themen kompakt und verständlich aufbereitet.

Digitalisierung verändert die Kinder- und Jugendarbeit – nicht irgendwann, sondern jetzt. Ob sie zur Überforderung führt oder neue Möglichkeiten eröffnet, entscheidet sich weniger an der Technik als an der Haltung und Lernbereitschaft der Menschen, die mit jungen Heranwachsenden arbeiten. Digitale Kompetenz ist dabei ein Teil professioneller Verantwortung – und sie ist Voraussetzung dafür, dass junge Menschen in einer mediatisierten Welt selbstbestimmt, neugierig und handlungsfähig bleiben.

  • Busche-Baumann, M., & Ermel, N. (Hrsg.). (2021). Wir müssen da sein, wo die Kids sind! Schulsozialarbeit in digitalisierten Lebenswelten (1. Auflage). Beltz Juventa.
  • Röll, F. J. (2022). Institutionen der Medienpädagogik: Außerschulische Jugendmedienarbeit. In U. Sander, F. Von Gross, & K.-U. Hugger (Hrsg.), Handbuch Medienpädagogik (S. 863–870). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23578-9
  • Siller, F., Tillmann, A., & Zorn, I. (2020). Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz in der Sozialen Arbeit. In N. Kutscher, T. Ley, U. Seelmeyer, F. Siller, A. Tillmann, & I. Zorn (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung (S. 315–332). Beltz.
  • Brock, T., Möhring, M., & Roeske, A. (2024). Alles eine Frage der Haltung?! Zur Entwicklung eines haltungssensiblen Fortbildungscurriculums für Fachkräfte der Jugendarbeit im digitalen Zeitalter. deutsche jugend, 4/2024, 162–171