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Foto: Unsplash
Hühnerbein Foto 1 2022

„Wem bin ich?“

Diese Frage ist mir vielfach im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Regionen unseres Landes begegnet. Eine Redewendung, die vieles meinen kann: Zu wem gehörst du? Von wem bist du Tochter oder Sohn? In welcher Stadt lebst du? Was ist deine Nationalität, deine ethnische Prägung, deine soziokulturelle Herkunft? Dies alles sind Facetten unserer Identität. Und so hat der zeitgenössische Philosoph Richard David Precht wohl recht, wenn er die Frage stellt: Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?

Als Christen lautet unsere Antwort auf die Frage, zu wem wir gehören, in der Regel: Ich gehöre zu Jesus Christus, ich bin ein fröhliches Gotteskind, ich lebe in der Nachfolge Christi, ich bin ein wiedergeborener Christ. Das ist die tragende Grundlage für meine Identität. Die Christusbotschaft und die ihr entspringenden christlichen Grundwerte bilden mein Navigationssystem auf dem Weg durch ein hoffentlich gelingendes Leben.

Würde ist nicht nur ein christlicher Wert, sondern hat ihren Niederschlag in der Menschenrechtserklärung und in unserem Grundgesetz gefunden: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das möchte man gerne glauben, und dennoch erleben wir in der Alltagswirklichkeit, dass die Würde des Menschen angetastet wird. Steffen Kern geht in seinem Artikel „Würde ist kein Konjunktiv“ diesem Thema nach.

Um Wert und Würde geht es auch in unserer Buchrezension „Warum es auf manche Lebensfragen keine einfachen Antworten gibt“. Die WERTESTARTER haben zu diesem Buch einen Artikel beigetragen. Wenn wir aus der Beziehung zu Jesus Christus heraus leben, müssen wir unseren Wert und unsere Würde nicht verdienen, wir bekommen sie als Glaubende geschenkt. Jeder Mensch hat Wert und Würde, auch wenn er etwa ein Leben mit Handicaps führen muss.

In unserem WERTESTARTER-Eigenprojekt FRESH-X werden junge Erwachsene qualifiziert, die in unterschiedlichen Projekten mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen christliche Werte erfahrbar werden lassen.

Die WERTESTARTER haben ein Kita-Zertifikat entwickelt, damit in der pädagogischen Arbeit der von uns initiierten, begleiteten, geförderten christlichen Kitas auch das drin ist, was draußen dransteht .

Die Schlüsselfragen meines Lebens und somit auch meine identitätsbegründenden Fragen sind: Wo komme ich her? Wer bin ich? Wo geht mein Leben hin auch über die Begrenzung meines Lebens hinaus.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre unseres Newsletters, Zeit und Ruhe zur Besinnung, gerade in der bevorstehenden Urlaubszeit, um Ihren persönlichen Fragen nachzugehen. Vielleicht finden Sie ja dann Ihre Antwort auf die Frage: Wer bin ich?

Mit herzlichen Grüßen
Ihr

Hartmut Hühnerbein
Vorstandsvorsitzender

Kern s

Würde ist kein Konjunktiv

Unantastbar

Die Würde des Menschen wird angetastet. Seit Jahrtausenden immer wieder neu. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges mit seinen beispiellosen Verbrechen markiert Artikel 1 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen“ vom 10.12.1948: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Die Würde des Menschen erscheint als innerster Kern, als Herzstück aller Rechte des Menschen. In der Menschenwürde gründen alle Menschenrechte. In dieser Linie benennt Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 die Menschenwürde als eine Art Fundamentalnorm des Staates: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Unveräußerlich und unverletzbar

Ihrem Wesen nach ist die Würde des Menschen unveräußerlich und unverlierbar. Es gibt auch keinen Mindestgrad an Vernunft oder Verstand, rationalem oder emotionalem Vermögen, das die Würde eines Menschen erst begründen oder bedingen würde. Würde ist jedem gegeben, und sie ist keine Formulierung im Konjunktiv: „Erfüllte er diese oder jene Bedingung, hätte er Würde …“ – nein: Würde ist ganz und gar Indikativ. Gegenwart. Zusage.

Gottes Ebenbild

Das entspricht dem christlichen Selbstverständnis. Der Mensch hat sich sein Leben nicht selbst gegeben, sondern findet sich in einer Welt und in einem Sozialgefüge vor. Sein Leben ist Geschenk. Er ist mit allem anderen, was ist, geschaffen. Was ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet: Er ist Gottes Ebenbild.

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erde kriecht.“ (Genesis 1,26-28)

Diese Gottebenbildlichkeit verliert er nicht. Sie ist gänzlich unabhängig von der Leistungskraft, von Schönheit oder rationalen Fähigkeiten, ebenso hängt sie nicht an sozialem Status, Rang oder Ansehen. Würde hat der Mensch an sich.

Freiheit und Verantwortung

Zugleich ist jeder Mensch als Ebenbild Gottes grundsätzlich ein freies Wesen. Die Freiheit des Menschen im christlichen Sinn ist jedoch nicht absolut oder abstrakt zu verstehen, sondern schließt seine Mitmenschen und Umwelt ein, die wie er selbst Teil der Schöpfung sind. Der Mensch ist nicht ohne die Erde und ohne die anderen Lebewesen. Er ist an sie gewiesen. Mehr noch: Er ist abhängig von anderen. Von seinen Eltern, von Mitmenschen, den Generationen vor ihm und nach ihm, von der Erde und vielen anderen Lebewesen, schlechthin von dem Gott, der für ihn sorgt. Der biblische Herrschaftsauftrag ist Ausdruck der Verantwortung des Menschen für seine Umwelt. Nie ging es um einen Freifahrschein zum Despotismus, zur Ausbeutung der Welt für eigene Zwecke – nein, der Mensch erhält vielmehr den Auftrag, am ordnenden Schöpfungshandeln teilzunehmen: Er soll den Tieren und Pflanzen Namen geben. Er soll verwalten. Er soll Leben erhalten. Seine Freiheit ist immer auf die ihn umgebenden Lebewesen bezogen. Insofern ist seine Freiheit nie grenzenlos. Sie darf nicht zur Willkür gegenüber der Erde, den Tieren und Mitmenschen werden. In dieser Bezogenheit auf die Anderen – und in Bezug auf den Schöpfer selbst finden Freiheit und Verantwortung ihr Maß.

Würde und Sünde

Man mag fragen: Was, wo dieses Maß verloren geht – ist dort nicht auch die Würde in Gefahr? Kann Würde nicht doch verloren werden, eben dann, wenn sich ein Mensch würdelos oder entwürdigend verhält? – Keine Frage, die Würde des Menschen wird angetastet. Dieses Phänomen bezeichnen wir klassisch als Sünde. Menschen handeln würdelos und entwürdigen andere. Menschenwürde ist nicht als eine Art göttlicher Funken zu verstehen, der unberührt erhalten bliebe. Nein, der Mensch ist ganz von der Sünde betroffen. Jedes Verbrechen, jede Art von Ausgrenzung oder Mobbing belegen dies – zwar graduell unterschiedlich und doch immer grundsätzlich.

Täterinnen und Täter verletzen nicht nur die Würde ihrer Opfer, sondern auch ihre eigene. Schöpfungsglaube bedeutet aber: Würde wird jedem Einzelnen immer wieder neu zugesprochen. Der Schöpfer ist auch der Erhalter der Welt. Er lässt die Welt und die Menschen nicht los. Er hält sie am Leben. Unsere Würde gründet in Gottes Wesen. Er spricht sie uns ständig neu zu. Und sie bleibt eine große Verheißung über diese Welt hinaus. Darum hat ein ungeborenes Kind, ein Mensch mit schwersten körperlichen und geistigen Einschränkungen ebenso eine Würde wie eine schwerstpflegebedürftige Person. Sie sind und bleiben in jedem Moment ihrer Existenz Gottes Ebenbild. – Mit dem Schöpfungsglauben ist freilich mehr verbunden: Freiheit, Segen, Verantwortung.

Die Grenzen der Selbstbestimmung

Die Freiheit des Menschen findet in der Würde ihre Grenze – dies gilt in Bezug auf andere, aber auch in Bezug auf sich selbst: Sein Leben hat er sich nicht selbst gegeben. Das Wunder des Lebens bleibt unverfügbar. Die Generativität des Menschen, die Generationenfolge und das Ende des Lebens sind vom Segen Gottes abhängig. Auch wenn der Mensch viel gestalten kann, stößt er an den Grenzen seines Lebens an die Grenzen seiner Selbstbestimmung. Diese Grenze zu verletzen, hat immense ethische Folgen.

Ethische Konsequenzen

Diese zeigen sich besonders deutlich in bio- und medizinethischen Fragen, etwa, wenn es um den ungeborenen und den sterbenden Menschen geht. Der Schutz des Lebens, das eine unbedingte Würde hat, darf dabei nicht einem abstrakten Begriff der Selbstbestimmung untergeordnet werden, sonst wird der Grund aller Freiheit selbst angetastet. Diese Gefahr besteht jedoch, seit das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 entschieden hat, das Grundrecht auf Persönlichkeitsentfaltung umfasse auch „ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Dieses Recht schließt ein, die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen zu können, wenngleich niemand zur Suizidbeihilfe gezwungen werden dürfe. Das aber bedeutet: Der Schutz des Lebens wird dem Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen untergeordnet. Ein absolut gesetztes Verständnis von Selbstbestimmung droht nun die Tür zu öffnen für eine neue Rechtslage.

Grenzüberschreitungen

Um den Raum der Selbstbestimmung zu erhalten, sind dessen Grenzen zu beachten. Basis jeder Autonomie ist die schlichte Existenz. Wer nicht da ist, kann auch nicht über sich bestimmen. Die Bestimmung des Selbst über sich selbst hat ihre Grenze am Selbst selbst. Wir sind uns selbst gegeben. Das Leben ist uns geschenkt. Freiheit ist uns verliehen. Wenn sich Selbstbestimmung gegen das Leben selbst wendet, das sie ermöglicht, erreicht sie ihre Grenze. So droht Selbstbestimmung zum Etikett subtiler Fremdbestimmungen und damit zur Illusion zu werden. Aus dem „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ etwa erwächst dann der Druck auf Schwerstkranke vonseiten des Gesundheitssystems, der Pflegekassen, der Gesellschaft, gelegentlich wohl auch vonseiten der Angehörigen: Warum bist du noch da?[1] – Aus meiner Sicht sollte deshalb bedacht werden: Wir haben als Ebenbilder Gottes eine unverlierbare Würde, die anzutasten uns verwehrt ist.

Pfarrer Steffen Kern, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Mitglied im Vorstand der WERTESTARTER


[1] Vgl. https://www.ekd.de/gemeinsame-...